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Sachverständigentag 2023

Schäden an Nachbargebäuden, Haftungsproblematik und Kommunikation

Mit fachlichen und rechtsbezogenen Themen stellte der Sachverständigentag am 13. September die Sachverständigen in den Fokus und zeigte zugleich auch die anwaltliche und richterliche Perspektive auf. Dieser Mix führte wieder zu einem erfolgreichen Forum, das über 130 Gäste zum Informations- und Erfahrungsaustausch sowie zum Netzwerken mit Kolleginnen und Kollegen nutzten.
Den Sachverständigentag moderierte Prof. Dr.-Ing. Klaus Peters, Vorsitzender des Sachverständigenausschusses der Ingenieurkammer.

Eröffnung und Begrüßung

Präsident Martin Betzler zeigte die Systemrelevanz der Sachverständigen auf, denn diese Expertengruppe steht der Öffentlichkeit vielfältig bei baufachlichen oder technischen Fragestellungen und Sachverhalten zur Seite. Sachverständige sind dann zur Stelle, wenn Schadenereignisse oder Schadenfälle zu beurteilen sind. Und diese unabhängige fachliche Beratung und Information ist vor allem für die Gerichte von allergrößter Bedeutung: Ohne Sachverständige ist häufig eine Urteilsverkündung nicht möglich. In der Interdisziplinarität gälte es, eine gemeinsame Sprache zu finden und die verfahrensbeteiligten Berufsgruppen für die jeweilige Sichtweise zu sensibilisieren. Dies sei die besondere Herausforderung und Leistung von Sachverständigen und ihre anspruchsvolle Aufgabe sei es, Schwieriges einfach darzustellen, erklärte Martin Betzler.

Angesichts des immensen gesellschaftlichen Stellenwerts drängte der Präsident darauf, den sich auch bei den Sachverständigen abzeichnenden Fachkräftemangel gezielt ins Blickfeld zu nehmen, aktiv für die Nachwuchsgewinnung zu werben und verstärkt zum Anliegen aller zu machen. Es ginge schließlich auch darum, „unsere mittelständischen, gut funktionierenden Strukturen aufrechtzuerhalten“, appellierte er. Nur dann sei gewährleistet, dass Gerichtsverfahren ohne Verzögerungen zum Abschluss gebracht werden könnten und zukunftsgerichtet auch jeder und jede einzelne von uns auf den fachlichen Rat von hochkarätigen Expertinnen und Experten vertrauen und bauen könne, wenn dies vonnöten sei.

Bauwerksschäden durch erschütterungsintensive Tiefbauarbeiten

Prof. Dr.-Ing. Martin Achmus,geschäftsführender Leiter des Instituts für Geotechnik der Leibniz Universität Hannover und öbv Sachverständiger für Baugrunduntersuchungen, Erd- und Grundbau, griff als ausgewiesener Experte dies komplexe Thema auf. Wenn sich Erschütterungen auf Bauwerke übertragen, könne es durchaus zu nennenswerten Schäden kommen, bestätigte er. Als besonders sensibel erwiesen sich insbesondere Decken; sie sind oftmals das kritische Bauteil. Professor Achmus zeigte in diesem Kontext auf, welche Methoden zur Verfügung stehen, wenn es zu Schadenfällen an Gebäuden durch Bodenerschütterungen gekommen ist. Mit den sogenannten Prognosegleichungen seien “genauere Aussagen auf ingenieurwissenschaftlicher Grundlage möglich, denn es können Bandbreiten möglicher und realistischer Erschütterungsintensitäten abgeschätzt werden“, so Achmus.

In Laborversuchen lassen sich die Erschütterungseinwirkungen auf das Verhalten typischer Böden vielfältig durchführen und beobachten und können dann in geeigneter Weise beschrieben und berechnet werden, erklärte der Universitätsprofessor. Jedoch warnte der Experte gleichzeitig vor kritikloser Anwendung solcher Prognosegleichungen, denn sie seien „allenfalls Konzepte“ und betonte darum: „Wenn man es genauer wissen will, muss man messen.“

Denn die für die im Rahmen einer Schadenbeurteilung erforderlichen validierten Nachweise liefern dann nur echte Bohrungen und Messungen vor Ort. Dennoch seien Prognosegleichungen hilfreich bei einer Beurteilung. Als Beispiele führte er Gebäudeschäden an, die durch erschütterungsintensive Tiefbauarbeiten an einer Bundesstraße, bei Abrissarbeiten und im Areal einer historischen Villa verursacht wurden und die unter Anwendung der Prognosegleichungen Anhaltspunkte für Kausalität lieferten. Diese Methodik werde gelegentlich im Vorfeld von Baumaßnahmen angewendet und wäre tatsächlich insbesondere für Baumaßnahmen der öffentlichen Hand sinnvoll.

Die Haftung der Baubeteiligten bei Schäden an Nachbargebäuden

Dr. Joachim Gulich LL.M., Rechtsanwalt und Notar bei der Kanzlei APPELHAGEN Rechtsanwälte Steuerberater PartGmbB mit Sitz in Braunschweig, widmete sich in seinem kurzweiligen und informativen Vortrag intensiv dem Thema Haftungsfragen und zeigte anhand eines typischen Praxisfalls in einem – wie er es nannte – „Drama in 4 Akten“, wie das gesetzliche Haftungssystem im Grundsatz funktioniert und wie sich die aus der Gesetzesanwendung als ungerecht herausstellende Rechtslage durch die Rechtsprechung eine Anpassung erfährt.

Selbst wenn nämlich alle an einem Vorhaben Beteiligten alles richtig gemacht haben und auch das Baurecht entsprechend der Baugenehmigung – die ohnehin nur öffentlich-rechtlich wirkt und damit Schadenersatz- und andere Ansprüche nicht sperrt – nicht überschritten wurde, haftet die Bauherrin bzw. der Bauherr und das ausnahmsweise verschuldensunabhängig allein aufgrund der Tatsache, dass ohne den Bau der Schaden beim Nachbarn nicht entständen wäre. Hier eröffnet sich ein Spannungsfeld im Gerechtigkeitsempfinden: Der Schaden ist da, der Bauherr ist nicht schuld daran, der Nachbar aber auch nicht.

Weil Nachbarn aber nun einmal in einer besonderen Nähebeziehung zueinander stehen, aus der sich unweigerlich auch ungewollt Beeinträchtigungen der jeweiligen Rechtssphären ergeben können, zieht die Rechtsprechung in diesem „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“ den § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB heran und spricht damit dem Geschädigten einen Anspruch auf Ausgleich bzw. Entschädigung zu. Der rein auf Kausalität beruhende Anspruch ist ein Sonderfall der „Haftung ohne Verschulden“. Wichtig dabei: Für das Entstehen des Anspruchs ist auch irrelevant, in welchem Zustand sich das Gebäude vor Schadenseintritt befunden hat.

Daraus ergeben sich aber wiederum Folgeprobleme: Wie sieht der Anspruch inhaltlich aus? Umfasst er lediglich Reparatur- oder sogar Neubaukosten? Abzug „Neu-für-Alt“, zahlt also der Bauherr die Wiederherstellung des Vorher-Zustands und der Nachbar den Rest? Ist ein Mitverschuldensanteil nach § 254 BGB zu beachten? Der BGH bleibt mit seiner Rechtsprechung eher kryptisch. Besonders tragisch für die Bauherrenschaft: In aller Regel übernehmen weder Rechtsschutzversicherung noch Bauherrenhaftpflicht derartige Kosten. Ein Gesamtschuldnerausgleich mit den am Vorhaben Beteiligten findet nicht statt, da diese nicht in besagtem besonderem nachbarlichen Verhältnis zum Geschädigten stehen und auch ein Regress ist nur möglich, wenn das Risiko ausnahmsweise vertraglich übertragen wurde. Es verbleibt also ein unberechenbares Restrisiko für Bauherrinnen und Bauherren. Hier eröffnet sich ein Spannungsfeld im Gerechtigkeitsempfinden: Der Schaden ist da, der Bauherr ist nicht schuld daran, der Nachbar aber auch nicht.

Freude statt Frust. Gerichtsaufträge effizient, verfahrensfehlerfrei und qualitativ hochwertig erledigen

Sachverständige und Gerichte – auf dieses Zusammenspiel ging Frank Walter, Vorsitzender Richter am OLG Hamm, abschließend ein und gab aus eben jener Perspektive Hinweise, wie Gerichtsaufträge durch eine inhaltsvolle und zielgerichtete Kommunikation verfahrensfehlerfrei und damit zügig und qualitativ hochwertig erledigt werden können. Denn unter den „drei Playern im Gerichtsverfahren“ sei derSachverständige der Bedeutendste: „Die Qualität des Gutachtens  wird allein durch den Gutachtenauftrag bestimmt“, erklärte der Richter und leitete daraus dann auch deren Pflicht ab, Gerichtsaufträge gewissenhaft zu erfüllen. Demnach mahnte er bei Auftragsannahme insbesondere zur Vorsicht bei Befangenheit und empfahl zudem, einen Arbeitsplan mit Zeit- und Fristenmanagement zu erstellen und eine realistische Kosteneinschätzung abzugeben. Denn, so Frank Walter: „Die gesetzte Frist bestimmt nicht die Erwartungen des Gerichts an den zu leistenden Aufwand“. Und weiter: „Die Höhe des Auslagenvorschusses besagt nichts darüber aus, wie aufwändig die Erledigung des Auftrages sein wird.“

Um Nachforderungen des Gerichts im Zuge der Begutachtung zu vermeiden, sollten Sachverständige eher großzügig schätzen.

Die Zeit ist das größte Hemmnis, so dass sich Sachverständige im Verfahren immer wieder überprüfen sollten, ob die gerichtliche Frist ausreiche. Wenn nicht: Unverzügliche Rückmeldung und Angabe der realistischen Erledigungsfrist bei sich ankündigender Fristüberschreitung während laufender Begutachtung sei dringend geboten. Sachverständige hätten zwar keine Durchsetzungsmacht, jedoch sei das Gericht nach § 404 a ZPO gesetzlich verpflichtet, die Sachverständigen zu unterstützen. Im Zuge der Digitalisierung erweisen sich das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) und die OZG-Software „Mein Justizpostfach“ (MJP) als sichere und effiziente Übermittlungswege.

Ende gut, alles gut: Hilfreich für die Sachverständigen sei in jedem Fall ein Feedback. Sie sollten daher ggf. auch um Übersendung einer Urteilsabschrift bitten, denn so können Unsicherheiten genommen und Optimierungspotentiale erkannt und ausgeschöpft werden.

Der Sachverständigentag als feste Tradition zeichnete sich auch in diesem Jahr wieder durch sein informatives Programm und als Plattform für intensive und praxisorientierte Diskussion und konstruktive Gespräche aus.
Wir danken unseren Gästen und Referenten für die vielen Diskussionsbeiträge und ihr aktives Mitwirken.

Fotos: © Ingenieurkammer Niedersachsen

 

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