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Zukunft Niedersachsen – Planen mit Ingenieuren und Ingenieurinnen

Vor der Landtagswahl – Ingenieurinnen und Ingenieure im Austausch mit der Politik

Wie sieht das Planen und Bauen in den nächsten fünf Jahren in Niedersachsen aus? Wie bringt die Politik die Innovationsfähigkeit voran und welchen Support leisten die planenden Berufe?

Am Abend des 20. September 2022 diskutierte die Ingenieurkammer Niedersachsen mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik anlässlich der Landtagswahl im Rahmen ihrer Podiumsdiskussion in Hannover über die Zukunft des Planens und Bauens in Niedersachsen.

Lesen Sie hier mehr über den zweistündigen Austausch.

Präsident Martin Betzler begrüßte den niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD), Martin Bäumer (CDU), Dr. Elisabeth Clausen-Muradian (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Susanne Schütz (FDP) zur Podiumsdiskussion „Zukunft Niedersachsen – Planen mit Ingenieuren und Ingenieurinnen“ anlässlich der Landtagswahl am 9. Oktober 2022 in Hannover.
Im Fokus standen die Themen Fachkräftemangel, Nachwuchsförderung und die Voraussetzungen für ein qualitatives Planen und Bauen.

„Die Freien Berufe sind nirgendwo explizit erwähnt.“ Zum Auftakt des Polit-Talks konstatierte Hauptgeschäftsführer Jens Leuckel nach dem Blick in die Wahlprogramme der Parteien, dass die Freien Berufe wie zu oft außer Betracht gelassen wurden. Er griff unterstützend die Statistiken 2020 des Bundes der Freien Berufe auf.

Freie Berufe: mehr Einbindung und Beteiligung an öffentlichen Diskussionen

Denn mit 10,3 Prozent Anteil am BIP, einer Verdoppelung der Zahl der Selbständigen seit dem Jahr 2000 und dazu mit 6 Mio. Angestellten, einer bemerkenswert hohen Frauenquote von 91,7 Prozent in der dualen Ausbildung, hoher Arbeitsmarktverwertbarkeit und zuletzt auch einem Umsatz von rund 500 Mrd. Euro sieht er diese Klientel „durchaus als wahrnehmbare Gruppe“ – nicht nur in der Wählergunst. Und so wollten er und Präsident Betzler dann auch wissen, ob die Freien Berufe Kraft ihrer hochkomplexen Tätigkeiten wie auch der Allgemeinwohlverpflichtung nicht einer „gewissen Würdigkeit bedürfen“, und wie die Politik diese stärker mit einbeziehen wolle.

Minister Olaf Lies erhielt das Wort und räumte ein, dass hier das explizite Bewusstsein fehle: „Wir reden nicht über die Gruppe der Freien Berufe“, bedauerte er, „gleichwohl wir sehen, welchen Mangel wir haben“, denn aktuell gelte es, „unglaublich viele Projekte zeitgleich auf den Weg zu bringen“.

Auch Dr. Elisabeth Clausen-Muradian von den Grünen bekräftigte die Relevanz der Freien Berufe und sprach sich dafür aus, diese verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu holen, denn Ingenieurinnen und Ingenieure liefern Innovationen für die gesamte Gesellschaft.

Martin Bäumer, der für die CDU im Landtag sitzt, bezeichnete die Tätigkeiten im Ingenieurwesen als „Berufe der Zukunft“ und zeigte sich zuversichtlich: „Man kann das ja heilen“, meinte er und ergänzte: „Nach den Wahlen gibt es einen Koalitionsvertrag“, was durchaus als Angebot für die Ingenieurkammer zu verstehen war, denn er sprach sich direkt dafür aus, die Ingenieurkammer „nicht nur bei Gesetzesvorhaben“, sondern allgemein im Vorfeld bei Zielsetzungen, Klima gerechtem Bauen und der „wahnsinnigen Transformation“ enger einzubeziehen, da die Ingenieurinnen und Ingenieure in der Bewältigung der Herausforderungen „die essentielle Berufsgruppe sind, auf die die Gesellschaft zurückgreifen“ können muss.

Zukunftsstandort Niedersachsen – Fachkräftesicherung

Und damit war die Diskussion gleich an dem Punkt, der die Gesellschaft und den Berufsstand gleichermaßen extrem betrifft, dem Fachkräftemangel. Denn während neue Projekte und Herausforderungen im Ingenieurbereich wie aktuell der mit unglaublicher Geschwindigkeit vorangebrachte Bau von LNG-Terminals und die Transformation voranschreiten und ebenso der Klimawandel bewältigt werden müssen, fehlen allenorts die Ingenieurinnen und Ingenieure. Alle Diskutierenden waren sich einig, dass dem Fachkräftemangel im Berufsstand durch Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen begegnet werden muss.

Minister Lies sprach sich dafür aus, bereits frühzeitig in der Schule das Potential der Nachwuchskräfte im MINT-Bereich zu fördern und zugewanderte, qualifizierte Fachkräfte verstärkt einzubeziehen. Die Grünen-Politikerin  Clausen-Muradian kritisierte eine mangelnde Berufsorientierung in den weiterführenden Schulen und betonte die Relevanz der Förderung von Quereinstiegen.

Susanne Schütz  von der FDP appellierte für den Ausbau von digitalen Weiterbildungsformaten, berufsbegleitenden Qualifizierungsmöglichkeiten bis hin zum Studium, Nachqualifizierungen für Zugewanderte und ebenso eine verstärkte Berufsorientierung in Schulen: „Es geht vor allem darum, berufliche Optionen und konkrete Berufsbilder aufzuzeigen. Aspekte wie Gehaltshöhe und die Sicherheit des Arbeitsplatzes sind bei jungen Leuten oft keine auschlaggebenden Argumente bei der Berufswahl – auch wenn sich dies angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen ändern kann.“

Martin Bäumer erläuterte weiter: „In den letzten Jahren hat eine breite Diversifikation von verschiedenen Berufsgruppen stattgefunden.“ Dadurch sei der Fokus verschwommen, welche Berufsgruppen eine besonders hohe Relevanz für das Funktionieren unserer Gesellschaft haben und entsprechend gefördert werden müssen. „In der Folge fehlen die dringend benötigten Fachkräfte in hochrelevanten Berufen – wie den Ingenieurbereichen,“ meinte er. Man dürfe Zeitgeist und Nachfrage nicht verwechseln. „Das müssen wir ein Stück organisieren, dass wir Angebote nicht aufgeben, die wir morgen brauchen.“ Unisono sprachen sich die Diskutanten für eine kontinuierliche Ingenieurausbildung auf hohem Niveau aus.

Wege zum qualitativen Planen und Bauen

Die Merkmale hoher Planungsqualität gehen für die Ingenieurkammer einher mit einer nachweislichen Qualitätssicherung von Ingenieurleistungen auch durch eigene Berufsrechtsvorbehalte, die die Eigenverantwortung stärken. Maßnahmen, die die Sicherheit und Ordnung und den Klima- und Umweltschutz betreffen, dürften nur von nachweislich qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren ausgeübt werden, argumentierte Präsident Betzler „Die Leute mit Qualifikation können das bewerkstelligen, mit dem Know-How, die stehen dahinter“, bekräftigten der Präsident und Hauptgeschäftsführer. Deshalb muss die Politik darauf hinwirken, dass gerade auch die geförderten Maßnahmen ausschließlich von Ingenieurinnen und Ingenieuren wahrgenommen werden, um den zielgerichteten Einsatz staatlicher Mittel sicherzustellen. So forderten beide von der Politik, die Qualitätssicherung der Ingenieurleistungen durch Berufsrechtsvorbehalte zu bestätigen, um die besondere Rolle des Ingenieurberufsstandes für den Innovationsstandort Niedersachsen zu erhalten, seine Wirtschaftskraft zu sichern und seine Verantwortung im öffentlichen Interesse zu stärken.

Die FDP-Politikerin Schütz signalisierte Unterstützung zu, die Verantwortung vermehrt in die Hände von Entscheidungsgebern zu legen, „wenn die Ingenieurin oder der Ingenieur die Qualifikationen hat“ und die Durchgängigkeit der Fachlichkeit besteht.

Dann griff Präsident Betzler explizit die Planungsqualität auf und positionierte die klare Trennung von Planung und Ausführung für die Sicherstellung von Bauvorhaben. Er mahnte beispielhaft den Brand des Grenfell Tower in London an. Nicht qualifizierte Planer, keinerlei Kontrolle, Vorschriften, die nach Belieben ausgelegt werden konnten, führten hier in die Katastrophe, wie er aufzählte: „Die Ingenieurkammer schätzt das Prinzip des Generalunternehmers äußerst kritisch ein. Die Freien Berufe geraten so in eine Subfunktion, Kontrollmechanismen werden erschwert und die Kosten scheinen nur auf den ersten Blick günstiger.“

Die vielen kritischen Wortmeldungen der Planerinnen und Planern bestätigten dies. Die Politik müsse Planenden auch verordnungstechnisch entgegenkommen. ÖPP und EU-Verfahren hätten kein Genehmigungsrisiko, sondern ein Leistungsrisiko. „Das größte Problem und größte Risiko haben wir in der Leistungsphase 8, der Bauzeitphase“, hieß es aus dem Publikum. Gespiegelt wurde somit, das Risikomanagement öffentlicher Bauprojekte nicht ausschließlich auf die Baukosten zu reduzieren, sondern auch die Bauzeit und die Qualität einzubeziehen, weiter auch die ‚Bauherrenfunktion‘ der öffentlichen Hand durch kompetentes und autorisiertes Personal zu gewährleisten und die Qualität baubegleitend durch qualifizierte Fachexpertise und Sachverständige zu befördern. Und ebenso bleibt das Instrument der Mindestsätze der HOAI „immer Thema“. Die Politik muss durchsetzen, dass die Preise nicht unterschritten werden, „zumindest die Mindestsätze eingehalten werden“, hieß es dazu aus dem Publikum. Denn die Kosten steigen, auch in den Ingenieurbüros wie beispielsweise an der zunehmenden Ausstattung durch Digitalisierung erkennbar wurde.

Für Martin Bäumer sind die Vorbehalte gegenüber Generalunternehmern deutlich gestiegen, ließ er das Publikum wissen. Man schaffe sich mit dem Vergaberecht selber ein Problem. Er stimmte der Notwendigkeit eines „Vier-Augen-Prinzips“ zu und machte vor allem eine Politik geltend, die die Bedürfnisse in der Kommune berücksichtige. „Das öffentliche Vergaberecht fördert nicht unbedingt den lokalen Händler, ganz im Gegenteil“, äußerte er nachdenklich.

Die FDP wolle die benannten Schwierigkeiten mit einem Kompetenzzentrum ÖPP regeln, denn „die Stadt ist darauf angewiesen“, meinte Susanne Schütz.

Die mangelnden Kapazitäten personell wie finanziell bestätigte auch Dr. Elisabeth Clausen-Muradian und führte die nicht ausreichende personelle Besetzung in Bauämtern als zusätzlichen Grund für den vermehrten Einsatz von Generalunternehmern an. „Wir müssen die Stellschrauben verändern, damit Kommunen in die Lage versetzt werden, wieder verstärkt selbst zu bauen und die Auslagerung nach außen zu reduzieren“, so die Grünen-Politikerin. Hier sei insbesondere die öffentliche Hand gefordert, sich als leistungsfähiger Arbeitgeber zu präsentieren. Und: Qualität hat ihren Preis, und diese muss neu sichergestellt werden. Das sahen alle Parteien so und bekräftigten, daran arbeiten zu wollen, „dass es wieder in die richtige Richtung geht“.

Auch diese Forderung wurde im Kontext der Planungsqualität deutlich: Die öffentliche Hand soll nur dann tätig werden, wenn sie es besser kann, sonst haben wir einen unfairen Wettbewerb und es besteht der Eindruck und die Gefahr einer Quersubventionierung.

Für einen florierenden Mittelstand und den Fortbestand kleinerer und mittlerer Ingenieurbüros sei die Konkurrenzsituation öffentlicher Planer und freier Einrichtungen nicht weiter zu akzeptieren. Zum Schutz der privaten Dienstleister wurde hier erneut mehr Zurückhaltung seitens der öffentlichen Hand gefordert.

Bauen und Klimaschutz

Die Themen, die den Ingenieurinnen und Ingenieuren weiter unter den Nägeln brannten, waren das klimabewusste Bauen im Bestand. „Angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen müssen wir die Ressourcenschonung und insbesondere die Förderung für Bestandsbauten in den Mittelpunkt stellen. Hier gilt es, die Bauordnungen anzupassen, Umbauordnungen zu schaffen und vor allem auch die Fördermaßnahmen in den Blick zu nehmen“, resümierte Präsident Betzler. Denn nicht selten bleiben Qualität und Erfolg geforderter Maßnahmen hinter den Erwartungen zurück. Im Bereich der Fördermittel mache es daher durchaus Sinn, „dass ausnahmslos Ingenieurinnen und Ingenieure eingeschaltet werden, um eine optimale Wirkung zu erzielen“, auch unter wirtschaftlichen Aspekten.

Das Wort hatten an diesem Abend die Ingenieurinnen und Ingenieure: Viele unter ihnen griffen zum Mikrofon, um die Realitäten in der Praxis zu schildern und mit den politischen Vertreterinnen und Vertretern über ihre Forderungen zu diskutieren und ihre Ansichten darzulegen. Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Der Minister und die drei Parteivertreterinnen und -vertreter von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen signalisierten insgesamt in ihren Stellungnahmen Unterstützung für die Belange der Ingenieurinnen und Ingenieure.

Wir danken allen Teilnehmenden und unseren Podiumsgästen für ihr Mitwirken.

Im Überblick: Die Wahlprüfsteine der Ingenieurkammer Niedersachsen

Alle Fotos: © Christian Wyrwa

 

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